Von Kirsten Becker – 11. April 2016
Ich kenne niemanden, der nicht einen heimlichen Traum hat, den er oder sie gerne wahr machen würde. Leider gibt es im Alltag immer einen Grund, warum wir die Realisierung aufschieben: Keine Zeit, kein Geld, keinen Mut. Alexander Eischeid hat sich 2013 seinen Traum erfüllt.
Er ist mit seiner Vespa von Alaska nach Feuerland gereist. 19 Länder durchquerte er und fuhr 70.000 Kilometer – bei Wind und Wetter – bis er im Juni 2015 wieder in Köln ankam. Seine Reise dauerte knapp 2 Jahre. Es war ein langersehnter Traum, den er mit guter Vorbereitung umgesetzt hat. Die Reise und vor allem die Begegnung mit den Menschen waren für ihn prägend.
Wie lange hattest Du schon den Wunsch, mit Deiner Vespa von Alaska nach Feuerland zu reisen?
5 Jahre vor diesem Vespa Abenteuer bin ich mit dem Rucksack um die Welt gereist. Das hat mein Leben komplett umgekrempelt. Nach der Reise ist vor der Reise – ich kam mit neuen Abenteuer-Plänen zurück in die Heimat. Eins meiner Lebensziele ist es, alle 5-7 Jahre für 1-2 Jahre auf Reisen zu gehen.
Träumen ist das eine, es aber wirklich zu tun, das andere. Woher hast Du den Mut genommen?
Ich hatte gar nicht das Gefühl, Mut zu brauchen – ich habe nur das gemacht was ich wollte. Na klar, drehten sich die Dinge auch in meinem Kopf. Aber das Gefühl der Unsicherheit oder auch Zweifel gehören dazu, das hält den Geist wach. Ich wollte unbedingt meine Leidenschaften kombinieren – Lateinamerika und Vespafahren. Da ich schon Jahre zuvor ein bewegtes Leben führte, besaß ich keine Wohnung und kein Auto. Ich bin schon immer selbständig, um frei zu sein für meinen aktiven Lebensstil.
Wie haben Deine Freunde auf die Idee reagiert, wie Deine Familie?
Alle haben sich sehr für mich gefreut und mich in meinen Plänen unterstützt, auch wenn die meisten sagten, dass es nichts für sie sei. Ich ahnte, dass ich darin aufgehen würde, gehöre allerdings schon immer zu den Menschen, die die Dinge ausprobieren müssen um zu wissen, ob es gefällt oder nicht.
Warum bist Du mit einer Vespa gereist, der Du den Namen Elsi gegeben hast?
1998 hab ich meine erste Vespa gekauft und bin zusammen mit meinem Bruder damit bis in die Türkei gefahren. Vor der „Vesparicana“, wie ich mein Abenteuer taufte, hatte ich schon 15 Länder in Europa auf meiner Vespa erlebt. Das Vespafahren macht mich glücklich. Die Vespa eignet sich sehr gut zum Reisen, denn sie ist nicht zu schnell und die Menschen erkennen direkt, dass da jemand überladen, scheinbar mit kaum finanziellen Mitteln, eine lange Reise macht. Das bringt wichtige Sympathiepunkte und öffnet Haus, Hof, Werkstatt und Herz. Den Namen Elsi hat meine Freundin ihr als Namenspatronin vor der Reise gegeben.
Wie hast Du Dich vorbereitet und finanziert?
Ich bin selbständiger Tischlermeister und arbeite schon immer sehr viel. Nach meiner Rucksack-Weltreise habe ich meine kleine Tischlerei aufgegeben und habe auf Yachten und Segelbooten gearbeitet. Ich lebte saisonweise in Südfrankreich und habe die Yachten wohlhabender Menschen ausgebaut. Da konnte ich das Nötigste zusammensparen. Ich habe zwar unterwegs auch gearbeitet, aber eher aus Spaß als aus Existenznot.
Auf der Reise merkte ich schnell, was ich überhaupt zum Leben auf der Straße brauche: Schlafen, Essen und Fortbewegung.
Ich schlief fast überall im Zelt, meist umsonst. Auf dem Campingkocher habe ich lecker, gesund und auch günstig das Gemüse von den Märkten verkocht. Mit etwa dreieinhalb Litern Benzin auf 100km ist die Vespa recht sparsam.
Für die eigentliche Vorbereitung habe ich Reiseberichte gelesen und Listen geschrieben: von Spanisch lernen, Vespa reparieren können… bis an Impfungen, Kreditkarte und Papiere denken.
Wie war es, ganz alleine zu reisen?
Der Vorteil ist die Freiheit. Man macht einfach, ändert Wege und Zeitpläne, ist spontan, ohne jemanden Fragen zu müssen. Ohne Kompromisse. Der Nachteil sind die „Alltagsjobs“ wie Grenzübertritte oder Einkaufen. Denn niemand lässt gerne sein Hab und Gut alleine und unbewacht. Ein Reisealltag besteht einfach aus vielen Handgriffen. Die musste ich alle selber erledigen. Es wäre hier und da schön gewesen, wenn während des abendlichen Mechanik-Checks und Zeltaufbauens jemand schon mal den Kochtopf gefüllt hätte.
Was hat Dich auf der Reise am meisten beeindruckt?
Ganz klar, die Menschen. Unglaublich was ich alles erlebt habe. Ein mexikanischer Fischer fing am Tage nur einen einzigen Fisch. Diesen teilte er selbstverständlich mit mir.
In Peru wurde ich in den Anden von Dunkelheit und Schnee überrascht. Eine arme Frau rettete mich, nahm mich in ihrer Lehmhütte auf, gab mir Lamafelle als Nachtlager und brachte Suppe, mit der ich mich aufwärmen konnte.
In Paraguay hat eine kleine Vespa-Werkstatt meinen gesamten Motor zerlegt und repariert. Als ich nach erledigter Arbeit fragte: “Was kostet das nun?” stand der Chef vor mir und sagte: “Eine Umarmung.“ Unglaublich, die ärmsten Menschen teilten mit mir das Wenige was sie hatten.
Das sind diese Momente, diese Situationen die mich so sehr beeindruckten und beeinflussen, dass ich sie mitnehme bis in den Tod.
Gab es brenzlige Situationen?
In Mexiko beging ich einen Einreisefehler. Dieser kostete mich 2200km Umweg und war mir eine Lehre, denn danach hielt ich mich so gut wie immer an alle Regeln.
Schlimmer war es in Guatemala, wo ich auf einem sandigen Gebiet mit der Vespa stürzte und plötzlich maskierte Männer mit Pistolen und Macheten aus dem Busch sprangen. Sie forderten mein Geld und meine Kamera. Ich blieb ruhig, gab ihnen was sie wollten, konnte dann aber nicht anders als aktiv zu werden. Ich diskutierte, ich gestikulierte und erklärte ihnen, dass Guatemala tief in meinem Herzen sei, und dass sich auf der Kamera meine Fotos von Guatemala befinden. Daraufhin gaben sie mir meine Karte wieder.
Trotzdem saß der Schock tief. Zuerst wollte ich Guatemala verlassen. Dann blieb ich aber, lernte noch besser Spanisch, wohnte bei einer guatemaltekischen Familie mit 4 Kindern und kämpfte gegen die bösen Menschen, indem ich mich mit den Guten umgab. Es wirkte.
Wie hat die Reise Dich persönlich verändert?
Das Reisen ändert die Sicht auf die Welt. Auf dieser Reise sah ich mehr denn je aus dem Blickwinkel der einfachen und armen Menschen auf die Welt. Ich komme als Fremder und der Fischer, der den Fisch teilt sagt mir: “Wenn ich ihn alleine esse, werde ich alleine satt, aber wenn ich ihn teile werden wir beide satt”. Er sagt es nicht nur, er macht es auch.
Welche drei wichtigen Tipps würdest Du Leuten mitgeben, die sich einen Traum erfüllen wollen?
Vor dem Traum, ist es wichtig, die Ziele laut auszusprechen, um sie zu verinnerlichen. Macht Euch einen Plan und haltet daran fest! Der Alltag kann ein verdammter Traumkiller sein. Lebt für die Träume, korrigiert den Kurs, wenn Ihr Euch verschätzt habt, aber lasst Euch nicht vom Weg abbringen. Egal wie lange es dauert, wie hart auch der Weg dahin ist. Der Zeitpunkt wird kommen und es wird sich lohnen.
Wenn es los geht fragen sich manche: Das soll es nun sein? Das habe ich mir aber anders vorgestellt. Gebt Euch Zeit, setzt Euch nicht unter Druck. Manche Menschen stehen direkt in Flammen, manche brauchen Zeit. Tastet Euch hinein, lasst Euch fallen und wenn Ihr zweifelt, schaut genauer hin.
Du kannst nur gewinnen – auf jeden Fall an Lebenserfahrung. Wenn der Traum wahr wird, ist das ein sehr persönlicher Moment, er macht glücklich. Ich bin vor Freude beinahe explodiert und ritt fast zwei Jahre auf einer Welle der Euphorie.
Wer nicht glücklich wird, sollte sich nicht schämen. Man ist seinem Herzen gefolgt und hat vielleicht später herausgefunden, dass es das doch nicht war – aber man hat es gemacht! Du bist nicht gescheitert, sondern hast dazugelernt und weißt, wie man einen Traum verwirklichen kann.
Was macht Elsi heute?
71.000km über schlechte Straßen haben Spuren hinterlassen. Nachdem ich sie auf der Reise dreimal komplett zerlegen musste, habe ich ihr in Köln ein paar frische Ersatzeile gegönnt und nun ist sie Frührentnerin. Sie steht in meiner Garage, beladen wie auf der Reise und ich fahre mit ihr zu Vespatreffen und nehme sie bei Vorträgen mit auf die Bühne.
Gibt es ein Motto für Dich, seitdem Du die Reise gemacht hast?
Ja! Life is for living – Das Leben ist zum Leben da.
Woran arbeitest Du jetzt? Was sind Deine Pläne?
Ich brauchte einige Zeit, um mich in Deutschland wieder einzupendeln. Ich kann nur jedem raten, nicht sofort in die laufende Maschinerie des Alltags zu springen. Mir wurde schnell alles zu viel. Es war vorbei, als wäre ich nie weg gewesen – dachte ich.
Dann fing ich an, die Reise zu verarbeiten und damit veränderte sich alles. Ich sortierte Fotos, schnitt das Videomaterial und tauchte erneut in Reisesituationen ein. Daraus entstand mein Vortrag “Abenteuer Vesparicana” den ich in diversen Globetrotter-Filialen gehalten habe und halten werde. Einige Zeitungen berichteten über meine Reise. Zudem überarbeitete ich mein Buchskript und fand auch einen Verleger. Infos zu Vorträgen und Buch (Anm. Das Buch ist im März 2017 erschienen s.u.) werde ich weiterhin unter: http://vesparicana.jimdo.com/ bereitstellen.
Im Handwerk fühle ich mich heute noch zu Hause – allerdings ist es mehr Mittel zum Zweck – zur Umsetzung weiterer Träume. Das Leben ist noch lang und die Welt ist groß – diese möchte ich gerne zusammen mit meiner Freundin und vielleicht auch mal mit Kindern erkunden.
Ein Wort zum Schluss
Ich kann ihn gut verstehen, wenn er sagt, dass er sein Abenteuer gar nicht so mutig fand. Wenn die Zeit reif ist, dann ist es plötzlich für einen selber ganz normal, seinen Traum zu erfüllen – sei es eine Reise, Leben und Arbeiten in einem anderen Land oder die Selbstständigkeit. Alle Bedenken sind in diesem Moment weg. Man macht es einfach.
Ich glaube diese Eindrücke zeigen, was man gewinnen kann, wenn der eigene Traum gelebt wird:
4 Comments
Silvy
Januar 23, 2017 @ 20:12
Vielen Dank für diesen inspirierenden und bekräftigenden Beitrag liebe Kirsten!
Die Dinge kommen immer zur rechten Zeit zu einem … 😉
Nikola Geiger
Juli 19, 2018 @ 17:05
Ein schöner Beitrag.
Ich kann nur unterstreichen, was Alexander Eischeid schreibt. Ich bin letztes Jahr mit meinem Mann und unserem Hund 10 Monate durch Mexiko, Guatemala, USA bis nach Alaska und Kanada gereist und es war ein Traum. Dieses Sabbatical hat sich in jeder Hinsicht gelohnt und unseren Weltsicht erweitert. Wen es interessiert: http://www.travelourdreams.com
Ich kann nur jedem empfehlen, der mit solch einem Gedanken liebäugelt: tut es, springt über euren Schatten, es lohnt sich
Nikola
Kirsten Becker
Juli 23, 2018 @ 13:37
Liebe Nikola,
herzlichen Dank für Deinen Kommentar und Deine Ermunterung an alle, seine Träume wahr zu machen. Euere Website ist hierfür ein schönes Beispiel.
Grüße
Kirsten
Carsten Jung
September 23, 2022 @ 20:22
Eine schöne Impression für so eine schöne Tour. Ein ehemaliger Kollege hat eine Weltumrundung mit dem Motorrad gemacht und Ähnliches über Südamerika berichtet. Es ist schon etwas Anderes, mit dem Motorrad/Vespa oder mit dem Auto unterwegs zu sein 😉