Von Kirsten Becker – 1. Juli 2016
Kürzlich las ich einen Spruch: Etwas weniger Realität bitte! Da dachte ich, das stimmt manchmal wirklich. Einfach in Geschichten einzutauchen und den Alltag vergessen, das ist für mich entspannend.
Schon als junges Mädchen habe ich mir abends im Bett Geschichten ausgedacht und sie weiter gesponnen, bis ich eingeschlafen bin. Mein “Futter” erhielt ich aus den unterschiedlichsten Quellen: Mal war es ein Buch, mal ein Film, mal eine Klatschzeitschrift. Als ich dann später anfing, Geschichten aufzuschreiben, war das noch einmal etwas ganz anderes. Da floss plötzlich etwas aus mir heraus, das beim späteren Durchlesen gar nicht so blöd klang. 😉 Und seitdem ich Neffen habe, habe ich Lust, Geschichten für Kinder und Jugendliche zu kreieren. Vor ein paar Monaten lernte ich bei einem VHS-Seminar die Autorin Sylvia Englert kennen. Ich mag ihren Schreibstil und ihre Ideen. Sie hat geschafft, wovon andere träumen: Sie ist eine erfolgreiche Autorin und hat unzählige Bücher veröffentlicht. Natürlich wollte ich wissen, wie sie es geschafft hat und welche Tipps sie geben kann. Und siehe da, hier ist das Interview mit ihr. Viel Spaß beim Lesen!
Ab wann wusstest Du, dass Du schreiben willst? Gab es einen auslösenden Moment?
Ja, diesen Moment hatte ich mit elf Jahren bei einem verregneten Ferientag in den Niederlanden. Mir war langweilig, ich hatte nichts mehr zu lesen – und begann zum Spaß, mir eine Geschichte auszudenken und aufzuschreiben. Das machte so viel Spaß, dass ich angefixt war. Es half, dass ich mich in meine attraktive männliche Hauptfigur verknallte 🙂
Wie hat sich Dein Leben durch das Schreiben verändert?
Das Schreiben ist mir genauso wichtig wie Atmen, und ich könnte ebenso wenig damit aufhören. Zum Glück liegen mir die anderen Tätigkeiten des Autorenlebens ebenfalls – bei der Recherche kann ich meiner Neugier freien Lauf lassen, und bei Lesungen auf der Bühne zu stehen und sich der Neugier der Kinder und Jugendlichen zu stellen macht mir ebenfalls Spaß. Das Schreiben prägt mein gesamtes Berufsleben und lässt sich auch vom Privatleben nicht trennen – beim Frühstück “brainstormt” die ganze Familie zu bestimmten Aspekten meines laufenden Projekts, mein Sohn (10) ist ein begeisterter Testleser und Junior-Lektor für meine Kinderbücher und begleitet mich, wenn es zeitlich passt, als Assistent zu Lesungen. Natürlich ist es nicht immer angenehm für meine Familie, dass das Schreiben mir so wichtig ist – manchmal stehe ich um fünf Uhr auf, um schnell einen Dialog zu Papier zu bringen, und wecke dabei meinen Mann versehentlich auf … und die Lesereisen wollen auch irgendwie in den Alltag eingeplant werden …
Wie viele Bücher hast Du bisher veröffentlicht?
Kann ich dir nicht sagen, beim 50. Buch habe ich aufgehört zu zählen. Zurzeit erscheinen im Durchschnitt 2-3 Bücher von mir pro Jahr – meist ein Jugendroman, ein Kinderbuch und möglicherweise ein weiteres Kinderbuch oder ein Sachbuch.
Du schreibst Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbücher und bist fast in jedem Genre zu Hause – ob Sachbücher oder Fantasy Romane. Wie schaffst Du es, Dich immer wieder in andere Zielgruppen hineinzudenken?
Das mit den Sachbüchern ist am leichtesten. Ich stelle mir vor, für wen ich schreibe (meist kenne ich Leute aus der Zielgruppe), und schreibe dann auf, was sie vermutlich wissen wollen oder was ich ihnen vermitteln möchte. Das ist wie ein persönliches Gespräch. Beim Jugendroman schreibe ich weitgehend das, was mich selbst interessiert, auf die Art, wie ich das haben möchte. Ob es ankommt oder ich danebengehauen habe, merke ich durch meine Testleser oder spätestens bei Lesungen. Bilderbuch zu schreiben musste ich dagegen knallhart lernen, das haben meine Lektorin bei arsEdition und eine erfahrene Autorenfreundin mir beigebracht – Seitenaufteilung, Ton, Länge, Aufbau, Pädagogik. Im Kinderbuch hat es mir selbst geholfen, dass ich durch meinen Sohn einschätzen kann, was Kinder in welcher Altersgruppe interessiert. Wenn ich ihm vorlese, was ich geschrieben habe, merke ich, bei welchen Gags er lacht und bei welchen nicht, wo es mir selbst beim Vorlesen langatmig vorkommt und bei welchen Stellen er mit Legofiguren spielt, statt mir atemlos zuzuhören. Das notiere ich mir alles gleich und überarbeite die Szene, damit sie besser „funktioniert“. Wenn man selbst keine Kinder hat, empfiehlt es sich, mal welche zur Betreuung auszuleihen und Texte an ihnen zu testen.
Wie kommst Du auf Deine Ideen?
Ich lasse vieles auf mich einströmen – Informationen, Artikel, Bilder, neue Eindrücke daheim oder auf Reisen. Wenn etwas davon etwas in mir zum Klingen bringt, mich aufregt, beschäftigt oder inspiriert, und dann die Frage, „Was wäre, wenn …?“ hinzukommt, dann wird oft eine Buchidee geboren. Zum Beispiel habe ich einmal einen Artikel über Mutter-Kind-Zellen im Gefängnis gelesen – sofort stellte ich mir die Frage, wie das wohl ist, wenn man mit seiner Mutter im Gefängnis aufgewachsen ist, ob man sich später noch daran erinnern kann, was das mit einem macht … daraus ist Libellenfänger geworden. Das Foto eines Paralympics-Sprinters im vollen Lauf mit seinen Carbonfedern gab den geistigen Anstoß für Freestyler. Bei meinem Kinderbuch Der kleine Warumwolf (erscheint im August im Knesebeck Verlag) kam bei uns am Frühstückstisch die Frage auf, warum es eigentlich nur Werwölfe gibt (oder auch nicht), aber keine Warumwölfe? Kein Problem, die habe ich dann schnell erfunden!
Entscheidend ist immer: Interessiert oder bewegt mich das Thema genug? Immerhin investiere ich in jeden Jugendroman ein halbes Jahr meines Lebens.
Dein neuestes Jugendbuch „Woodwalkers“ ist gerade im Arena Verlag erschienen. Wie bist Du auf diese Figur des Carag gekommen?
Carag, ein junger Puma-Gestaltwandler, hat sich im Yellowstone Nationalpark an mich angepirscht. Als ich wieder daheim war, schrieb ich ein Exposé für einen in Yellowstone spielendenden Jugendroman, in dem er die Hauptfigur war, und schickte ihn über meinen Agenten an den Arena Verlag. Doch die wollten lieber einen Kinderroman, und so wurde nichts daraus. Aber so wie mir ging der Lektorin der „Katzenjunge“, wie sie ihn nannte, nicht aus dem Kopf, und wir arbeiteten weiter an der Idee. So kam über mehrere Exposé-Fassungen das Internat Clearwater High hinzu mit seinen vielen anderen Gestaltwandlern, vom Rothörnchen bis zum Bison.
Wie bereitest Du Dich auf neue Romane vor? Gibt es Rituale?
Ja, es gibt Rituale – wenn ich beginne, an einem neuen Roman zu arbeiten, stelle ich einen passenden Bildschirmhintergrund ein (bei Woodwalkers natürlich ein Puma) und ich stelle vor meinem Keyboard Dinge auf, die vom Thema her passen. Bei White Zone, meinen Antarktis-Roman, der im Februar 2017 erscheint, waren das zum Beispiel ein winziges Schneemobil, ein Kaiserpinguin und eine Robbe. An den Wänden erscheinen Schauplatzkarten. Ich kaufe massenweise Bücher für die Recherche, mache Vor-Ort-Termine aus, führe Interviews, lege Planungsdateien für Figuren, Handlung und Schauplatz an …
Wie viel Disziplin benötigt es, ein Buch fertig zu stellen? Gibt es Tipps hierfür?
Der erste Roman ist der schwerste. Danach weiß man ungefähr, wie es geht, und man weiß, dass man es schaffen kann – und dieses Selbstvertrauen ist Gold wert! Ja, Disziplin ist ganz wichtig, und dass man dranbleibt und regelmäßig schreibt. Eine Seite pro Tag und nach einem Jahr ist ein dicker Roman mit 365 Seiten fertig! Auch ein Abend (am besten immer der gleiche Wochentag) ist für die meisten zu schaffen. Oder man setzt sich das Ziel, eine Kurzgeschichte pro Monat fertigzustellen.
Total schade finde ich immer, wenn jemand eine Menge Talent hat, aber nicht „aus dem Quark kommt“. Dann war es ihm oder ihr eben nicht wichtig genug.
Wie muss man sich Deinen Arbeitsalltag vorstellen? Wie ist das Leben eines Autors?
Gerade hatte ich eine Schreibphase, in der sitze ich, wie man sich das auch vorstellen würde, von 7.30 bis 14.30 (bis mein Sohn aus der Schule kommt) am Computer und schreibe an meinem Roman weiter – so etwa fünf Buchseiten am Tag schaffe ich, manchmal mehr, wenn es gut läuft. Ich überarbeite Passagen und recherchiere zwischendurch Einzelheiten, die mir noch fehlen. Manchmal muss ich aber auch einen Büro-Tag einlegen, um mit meinem Agenten zu telefonieren, Klappentexte oder Rechnungen zu schreiben, mit Lesungsveranstaltern Absprachen zu treffen, Interviews zu geben, Leserbriefe zu beantworten und so weiter. In Recherchephasen schreibe ich gar nicht, sondern lese viel, schaue Dokus, führe Interviews, reise an die Schauplätze (einmal sogar die Antarktis!) und plane den neuen Roman. Hauptsächlich im Frühjahr und im Herbst bin ich auf Lesereise unterwegs und lese in Schulen oder Bibliotheken und auf Literaturfestivals aus meinen Büchern – etwa 50-60 Lesungen halte ich jedes Jahr.
Wie gehst Du mit Frustmomenten um, wenn Du zum Beispiel mit einem Buch nicht vorwärts kommst oder Deine Idee nicht sofort einen Verlag findet?
Schreibblockaden habe ich zum Glück nicht oft, die sind bei mir immer ein Warnzeichen, dass irgendwas mit dem Projekt nicht stimmt. Meistens komme ich bei ausgedehnten Spaziergängen darauf, wo das Problem liegt. Die schlimmsten Frustmomente entstehen, wenn ich das Schicksal meiner Bücher nicht beeinflussen kann – wenn ich zum Beispiel eine Idee nicht unterkriege. Für jedes Projekt, das von einem Verlag genommen wird, habe ich etwa drei abgelehnte in der Schublade. Das ist bitter, und es vergeht manchmal eine richtige Trauerphase, bis ich mich von dem Projekt lösen kann. In ganz seltenen Fällen schreibe ich das Buch dann trotzdem und schaue dann, was ich draus mache. Noch viel schlimmer ist aber, wenn ich und der Verlag von einem Buch begeistert sind und es dann floppt. Das ist mir mit dem Kinderbuch Tommy Löwenfreund passiert, das hat der Buchhandel nicht akzeptiert. Damit war sein Schicksal besiegelt, obwohl die Leser es toll fanden.
Du nutzt verschiedene Namen. Deine Fantasy Romane, Abenteuerromane oder auch Thriller zum Beispiel erscheinen unter Katja Brandis. Wie ist das, wenn man einen anderen Namen annimmt, denkt man da auch anders?
Ich hatte schon als Jugendliche ein Schreib-Pseudonym und fand es witzig, mit Identitäten zu spielen. Katja Brandis ist ein Name, den ich mir selbst gegeben habe, und er ist mir längst ebenso wichtig wie mein „richtiger“. Anders fühle ich mich damit allerdings nicht, auch meine Kurzbiografie ist bei allen Namen mehr oder weniger die gleiche, auch wenn ich unterschiedliche Dinge in den Vordergrund rücke. Für viele Leute ist es ein bisschen verwirrend, dass ich unterschiedliche Namen habe, und ich habe viele witzige Dinge damit erlebt (versuch mal, ein wichtiges Einschreiben abzuholen, das an deinen Künstlernamen adressiert ist!). Aber Pseudonyme sind einfach praktisch, damit man vom Buchmarkt nicht in eine Schublade gesteckt wird, aus der man kaum noch herauskommt.
Was möchtest Du nie mehr missen?
Den Flow beim Schreiben einer Szene, bei der ich weiß, sie wird gut.
Was ist Dein größter Traum für die Zukunft?
Dass ganz viele Leute, die mich bisher noch nicht kannten, meine Bücher entdecken!
Ein Wort zum Schluss:
Dass mit der Realität – also mal weniger im Leben davon zu haben – ist zwar eine schön Idee, aber auch beim Bücherschreiben ist die Realität wichtig. Es schreibt sich kein Buch von allein. Man braucht auch hier Disziplin. Und die Verlagswelt ist dann noch einmal ein anderes Thema. Aber meine Devise ist: Hauptsache es macht Spaß! Und den Flow beim Schreiben kenne ich auch – der ist einmalig.
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