Von Kirsten Becker – 24. Juni 2015
Schärfen Sie mal wieder Ihre Axt!
Kreativität entsteht nicht, wenn ich mich zwinge. Kreativität braucht die Abwechslung. Das habe ich wieder einmal erlebt, als ich neulich vor einem Artikel für eine Fachzeitschrift saß. Wenn ich vor dem Computer sitze und sage, so, nun schreib mal, dann kommt erst mal nichts. Wenn ich dann noch Druck verspüre, anfange mit mir zu Schimpfen, dann ist es ganz vorbei. Eigentlich wie bei einem bockigen Kind. Inzwischen habe ich gelernt, wenn es gar nicht geht – aufhören. Ich zwinge mich nicht mehr. Und wenn ich dann irgendwo sitze und nichts mache oder gerade mal wieder öde den Staubsauger schwinge, dann fällt mir plötzlich eine Überschrift ein, eine Idee und es kann losgehen. Der Artikel oder das Konzept ist viel schneller geschrieben, denn das Unterbewusstsein arbeitet die ganze Zeit weiter, während ich denke, dass ich nichts hinbekomme.
Stille kann ein kreativer Motor sein. Ständiges Fordern lässt das Gehirn im falschen Moment abschalten. Kreativität kann in diesem Umfeld nicht entstehen. Der Rückzug in die Stille hilft mir oft. Kein Radio, kein Fernseher, keine Musik. Ernst Pöppel, Professor für medizinische Psychologie an der Universität München, beschreibt die Wichtigkeit von Stille in einem Interview für die Zeit online* so: „Stille ist essenziell, um sich konzentrieren zu können. Sie nimmt den Druck von uns, der durch den Lärm von außen entsteht. Diese Erholungsphasen sind wichtig für unser Wohlbefinden, darüber hinaus aber auch für unsere Fähigkeit zu denken. Wenn ganz Deutschland jeden Tag für eine Stunde nicht kommunizieren würde, dann hätten wir hier den größten Innovations- und Kreativitätsschub, den man sich vorstellen kann.“ Das wäre doch mal ein Versuch wert!
Meine 3 Tipps für einen guten Kreativitätsschub:
Und da ich Geschichten liebe, gibt es hier noch eine passende aus Jorge Bucay, „Komm, ich erzähl dir eine Geschichte“, FISCHER TaschenBibiliothek.
Der beharrliche Holzfäller
ES WAR EINMAL ein Holzfäller, der bei einer Holzgesellschaft um Arbeit vorsprach. Das Gehalt war in Ordnung, die Arbeitsbedingung verlockend, also wollte der Holzfäller einen guten Eindruck hinterlassen. Am ersten Tag meldete er sich beim Vorarbeiter, der ihm eine Axt gab und ihm einen bestimmten Bereich im Wald zuwies. Begeistert machte sich der Holzfäller an die Arbeit.
An einem einzigen Tag fällte er achtzehn Bäume. „Herzlichen Glückwunsch“, sagte der Vorarbeiter. „Weiter so.“ Angestachelt von den Worten des Vorarbeiters, beschloss der Holzfäller, am nächsten Tag das Ergebnis seiner Arbeit noch zu übertreffen. Also legte er sich in dieser Nacht früh ins Bett.
Am nächsten Morgen stand er vor allen anderen auf und ging in den Wald. Trotz aller Anstrengung gelang es ihm aber nicht, mehr als fünfzehn Bäume zu fällen. `Ich muss müde sein´, dachte er. Und beschloss an diesem Tag gleich nach Sonnenuntergang schlafen zu gehen. Im Morgengrauen erwachte er mit dem festen Entschluss, heute seine Marke von achtzehn Bäumen zu übertreffen. Er schaffte noch nicht einmal die Hälfte. Am nächsten Tag waren es nur sieben Bäume und am übernächsten fünf. Seinen letzten Tag verbrachte er fast vollständig damit, einen zweiten Baum zu fällen. In Sorge darüber, was wohl der Vorarbeiter dazu sagen würde, trat der Holzfäller vor ihn hin, erzählte was passiert war, und schwor Stein und Bein, dass er geschuftet hatte bis zum Umfallen. Der Vorarbeiter fragte ihn: “Wann hast du denn deine Axt das letzte Mal geschärft?“ „Die Axt schärfen? Dazu hatte ich keine Zeit, ich war zu sehr damit beschäftigt, Bäume zu fällen.“
*Zum Nachlesen: http://www.zeit.de/reisen/2010-02/interview-poeppel-stille.
1 Comment
Horst
Februar 13, 2018 @ 17:41
Hallo Kirsten, ja eine wundervolle Geschichte von Bucay, es ist schön zu wissen, das auch Du Bucay magst.
Er findet die richtigen Worte und schafft es sein Anliegen unkompliziert zu erzählen.
Liebe Grüße
Horst